Wenn die Schulter einfriert: Hilfe bei Frozen Shoulder durch gezielte Physiotherapie
Die Schulter – ein empfindliches Gleichgewicht
Deine Schulter ist eines der beweglichsten Gelenke im Körper. Sie ermöglicht Dir, die Arme in nahezu jede Richtung zu bewegen – sei es beim Anziehen, Haare waschen, Sport treiben oder beim alltäglichen Heben und Tragen. Doch genau diese Beweglichkeit macht sie auch anfällig für Probleme. Wenn Schmerzen, Bewegungseinschränkungen und ein Gefühl der Steifheit auftreten, kann eine sogenannte Capsulitis adhesiva – besser bekannt als Frozen Shoulder – dahinterstecken.
Diese Erkrankung ist nicht mechanisch bedingt, wie etwa durch einen Unfall oder Verschleiß. Vielmehr handelt es sich um einen entzündlichen Prozess innerhalb der Gelenkkapsel, der zu einer Schrumpfung und Verhärtung des Kapselgewebes führt. Infolge dessen ist das Gelenk nicht mehr frei beweglich – es fühlt sich „eingefroren“ an. Die Bewegungsfreiheit geht drastisch zurück, alltägliche Handlungen werden schmerzhaft oder unmöglich.
Ursachen und Risikofaktoren: Warum die Schulter einfriert
Die genaue Ursache der Frozen Shoulder ist bis heute nicht abschließend geklärt. Mediziner unterscheiden zwei Formen:
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Primäre (idiopathische) Frozen Shoulder:
Sie tritt scheinbar ohne äußeren Auslöser auf. Meist betrifft sie Menschen zwischen 40 und 60 Jahren, häufiger Frauen. In vielen Fällen gibt es keinen erkennbaren Anlass – die Entzündung der Schulterkapsel beginnt schleichend. -
Sekundäre Frozen Shoulder:
Diese Form tritt als Folge anderer Erkrankungen oder nach längerer Ruhigstellung auf – etwa nach Operationen, Knochenbrüchen oder bei Erkrankungen wie Diabetes mellitus, Schilddrüsenstörungen oder Parkinson. Auch Herzerkrankungen und Stoffwechselstörungen gelten als begünstigende Faktoren.
Zu den allgemeinen Risikofaktoren zählen:
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Immobilisation der Schulter über längere Zeit (z. B. durch Gips, OP oder Schmerzvermeidung)
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Diabetes mellitus (Typ 1 und Typ 2)
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Schilddrüsenerkrankungen (besonders Hypothyreose)
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Herz-Kreislauf-Erkrankungen
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Autoimmunerkrankungen
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bestimmte Medikamente (z. B. Proteasehemmer bei HIV)
Je früher die Beschwerden erkannt werden, desto besser lässt sich die Entwicklung aufhalten. Dabei spielt die frühzeitige physiotherapeutische Behandlung eine entscheidende Rolle.
Warum Physiotherapie bei Frozen Shoulder essenziell ist
Physiotherapie bei Frozen Shoulder zielt darauf ab, die Schulter über alle Phasen hinweg funktional zu erhalten und die Heilung aktiv zu unterstützen. Dabei kommt es darauf an, die Therapiephase exakt auf den Verlauf abzustimmen, denn falsches oder zu intensives Training kann den Zustand verschlechtern.
In der Schmerzphase konzentriert sich die Physiotherapie auf:
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Schonende Mobilisationen, angepasst an die Schmerzgrenze
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Entlastende Lagerungen
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Kälte- oder Wärmeanwendungen (je nach Verträglichkeit)
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Förderung der Gelenkdurchblutung ohne aktive Belastung
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Beratung zur Alltagsgestaltung
In der Steifephase liegt der Fokus auf:
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Sanften Dehnungen zur Erhaltung der Restbeweglichkeit
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passiven Mobilisationstechniken durch den Therapeuten
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ersten aktiven Übungen im schmerzfreien Bereich
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Entspannungstechniken, um Muskelverspannungen zu lösen
In der Lösungsphase wird die Behandlung aktiver. Jetzt geht es darum, die neu gewonnene Beweglichkeit zu fördern, Muskeln gezielt zu kräftigen und funktionelle Bewegungsmuster wiederherzustellen. Der gezielte Einsatz von Kräftigungsübungen und Koordinationstraining verbessert die Stabilität im Schultergelenk und schützt vor Rückfällen.
Mit gezielten Übungen zurück zur Beweglichkeit – was Du aktiv tun kannst
Individuelle Bewegung statt Schonhaltung: Der richtige Umgang im Alltag
Viele Betroffene reagieren auf die Schmerzen und Bewegungseinschränkungen der Frozen Shoulder instinktiv mit Schonung – verständlich, aber langfristig oft kontraproduktiv. Die Schulter braucht kontrollierte Reize, um nicht weiter zu versteifen. Das heißt: Du solltest das Gelenk regelmäßig bewegen – aber ohne es zu überlasten.
Wichtig ist dabei die Unterscheidung zwischen „guten“ und „schlechten“ Schmerzen:
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Guter Schmerz: Ein leichtes Ziehen oder Spannungsempfinden während einer Dehnung, das nach der Bewegung rasch nachlässt.
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Schlechter Schmerz: Stechender, anhaltender oder plötzlich einschießender Schmerz – hier heißt es: sofort abbrechen und die Belastung reduzieren.
Im Alltag helfen Dir kleine, bewusste Bewegungen – etwa das häufige Schulterkreisen, das Pendeln des Arms im Stehen oder das langsame Strecken über Brusthöhe hinaus (sofern möglich). Diese Mikroimpulse unterstützen die Durchblutung und regen die Gelenkflüssigkeit an.
Übungen aus der Physiotherapie – Schritt für Schritt zur Mobilität
Die Physiotherapie nutzt je nach Krankheitsphase unterschiedliche Übungsansätze. Viele davon kannst Du – nach Anleitung – auch zu Hause umsetzen. Hier eine Auswahl bewährter Methoden:
1. Pendelübung nach Codman
Lehne Dich leicht nach vorne, der betroffene Arm hängt locker nach unten. Führe kleine Kreisbewegungen aus – im Uhrzeigersinn und dagegen. Diese Übung verbessert die Gelenkflüssigkeit und wirkt schmerzlindernd.
2. Tuch- oder Stabübungen
Nimm ein Handtuch oder einen Stab hinter den Rücken und ziehe den betroffenen Arm sanft nach oben, indem Du mit der gesunden Seite führst. Alternativ kannst Du den Stab vor dem Körper halten und mit der gesunden Hand Bewegungen unterstützen.
3. Wandkrabbeln
Stell Dich frontal zur Wand und „klettere“ mit den Fingerspitzen so weit nach oben, wie es angenehm ist. Du kannst die Übung auch seitlich ausführen, um die Außenrotation zu fördern. Halte jede Position einige Sekunden und steigere langsam die Höhe.
4. Schulterblattmobilisation
Lege Dich auf den Rücken, die Arme seitlich gestreckt. Ziehe nun bewusst die Schulterblätter Richtung Wirbelsäule und wieder auseinander. Dies fördert die Tiefenmuskulatur und verbessert die Bewegungskoordination.
5. Theraband-Übungen
In der Lösungsphase kannst Du mit Widerstandsbändern gezielte Kräftigungsübungen machen – etwa zur Außenrotation oder zum Armheben gegen Zug. Wichtig: korrekt ausgeführte Technik vor Wiederholungszahl!
Alle Übungen solltest Du langsam, kontrolliert und ohne Schwung ausführen. Wiederholungen im niedrigen zweistelligen Bereich – ein- bis zweimal täglich – sind meist ausreichend. Sprich die Auswahl idealerweise mit Deiner Physiotherapeutin oder Deinem Physiotherapeuten ab.
Psychologische Aspekte: Warum Geduld und Haltung entscheidend sind
Eine Frozen Shoulder fordert nicht nur Deinen Körper – sie stellt auch Deine mentale Belastbarkeit auf die Probe. Die langwierige, oft monate- oder jahrelange Dauer der Erkrankung führt bei vielen Betroffenen zu Frust, Rückzug oder depressiven Verstimmungen. Das Gefühl, im eigenen Körper „eingesperrt“ zu sein, ist nicht zu unterschätzen.
Deshalb ist es wichtig, dass Du Dich nicht nur körperlich, sondern auch emotional und mental unterstützt fühlst. Hier einige Impulse:
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Dokumentiere Deine Fortschritte, auch wenn sie klein sind. Jeder zusätzliche Zentimeter Beweglichkeit zählt!
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Tausche Dich mit anderen Betroffenen aus – online oder in Gruppensettings.
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Sprich über Deine Sorgen, z. B. mit einem Therapeuten oder in der ärztlichen Sprechstunde.
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Achte auf Deinen Schlaf – Schlafmangel verschärft die Schmerzempfindung.
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Bleib aktiv, auch wenn es andere Körperregionen betrifft – Bewegung stärkt das Vertrauen in Deinen Körper.
Die aktive Rolle in der eigenen Genesung stärkt das Selbstwirksamkeitserleben – ein entscheidender Faktor für den Heilungsverlauf.
Prognose: Was erwartet Dich langfristig?
Die gute Nachricht vorweg: In den meisten Fällen heilt eine Frozen Shoulder vollständig aus – wenn auch langsam. Statistiken zeigen, dass etwa 80 bis 90 % der Betroffenen nach ein bis drei Jahren wieder eine weitgehend normale Schulterfunktion erreichen. Ein kleiner Prozentsatz behält geringe Bewegungseinschränkungen zurück, die aber meist keine starke Beeinträchtigung darstellen.
In sehr hartnäckigen Fällen kann ein medizinischer Eingriff notwendig sein – etwa eine Kapselspaltung (Arthrolyse) oder eine Manipulation unter Narkose. Diese Maßnahmen sind jedoch selten erforderlich und sollten immer erst nach Ausschöpfung konservativer Möglichkeiten erfolgen.
Um einem Rückfall vorzubeugen – der übrigens auch auf der anderen Schulter auftreten kann – empfehlen sich:
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Regelmäßige Mobilisationsübungen auch nach Abklingen der Beschwerden
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Ergonomische Arbeitsplatzgestaltung (z. B. bei viel Computerarbeit)
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Vermeidung einseitiger Belastung im Alltag
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Ausgleichssport wie Schwimmen, Yoga oder Nordic Walking
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Frühes Gegensteuern bei ersten Anzeichen erneuter Steifigkeit
Fazit: Mit Geduld, Wissen und Physiotherapie zur Schulterschmerzfreiheit
Die Frozen Shoulder ist eine Herausforderung – körperlich wie psychisch. Sie verlangt Dir Geduld, Selbstfürsorge und aktives Mitwirken ab. Aber: Du bist ihr nicht hilflos ausgeliefert. Mit gezielter physiotherapeutischer Begleitung, regelmäßiger Bewegung im schmerzfreien Rahmen und einer guten Portion Durchhaltevermögen kannst Du viel dafür tun, dass Deine Schulter wieder beweglich, kräftig und belastbar wird.
Das wichtigste Mittel auf diesem Weg ist kontinuierliches Dranbleiben – in Deinem eigenen Tempo, angepasst an Deine persönliche Situation. Die enge Zusammenarbeit mit Physiotherapeutinnen und -therapeuten unterstützt Dich dabei fachlich fundiert und individuell.
Denn auch wenn die Genesung Zeit braucht: Du hast gute Chancen, Deine Schulter ganz oder nahezu vollständig zurückzugewinnen – und damit ein großes Stück Lebensqualität.