Bobath Physiotherapie – ein individuelles Konzept zur Wiedererlangung von Bewegungsfähigkeit
Ganzheitlich denken, gezielt handeln
Ein plötzlicher Schlaganfall, eine neurologische Erkrankung wie Multiple Sklerose oder eine frühkindliche Entwicklungsstörung – all diese Situationen haben eines gemeinsam: Die Fähigkeit zur willentlichen Bewegung ist eingeschränkt, manchmal massiv. In solchen Momenten braucht es mehr als reine Muskelkräftigung. Es braucht ein Therapiekonzept, das nicht nur den Körper, sondern auch das zentrale Nervensystem und den Alltag des Menschen im Blick hat. Genau hier setzt die Bobath Physiotherapie an.
Dieses Konzept zählt heute weltweit zu den wichtigsten Ansätzen in der neurologischen Rehabilitation – für Erwachsene genauso wie für Kinder. Anders als klassische Methoden der Krankengymnastik basiert die Bobath-Therapie auf der Idee, dass unser Gehirn lernfähig bleibt – ein Leben lang. Selbst wenn bestimmte Areale geschädigt wurden, kann das Gehirn durch gezielte Reize neue Verknüpfungen schaffen und verloren gegangene Funktionen teilweise neu erlernen.
Die Ursprünge: Von der Idee zur Methode
Die Wurzeln der Bobath Krankengymnastik liegen in den 1940er-Jahren. Die Begründerin, Berta Bobath, war Physiotherapeutin und arbeitete mit Menschen, die unter spastischen Lähmungen litten. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Neurologen Dr. Karel Bobath, entwickelte sie ein Behandlungskonzept, das auf gezielter Bewegungsförderung basiert.
Im Gegensatz zu vielen zeitgenössischen Methoden wollten die Bobaths nicht „normale“ Bewegungen aufzwingen, sondern Patient:innen über wiederholte Erfahrungen neue Bewegungsmuster ermöglichen. Diese Herangehensweise war revolutionär – und ist bis heute ein Kernprinzip der Methode.
Heute ist das Bobath-Konzept wissenschaftlich anerkannt und wird in über 100 Ländern angewandt. Therapeut:innen aus der Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie arbeiten damit – immer angepasst an das individuelle Krankheitsbild.
Was genau macht die Bobath-Therapie besonders?
Die Physiotherapie nach Bobath unterscheidet sich grundlegend von standardisierten Therapieplänen. Statt einem festen Ablauf folgen die Behandlungsinhalte den Bedürfnissen und Möglichkeiten der betroffenen Person. Ziel ist es, Bewegungsfunktionen zu fördern, pathologische Bewegungsmuster zu reduzieren und alltagsrelevante Aktivitäten wieder zu ermöglichen.
Anwendung bei neurologischen Erkrankungen im Erwachsenenalter
Ein zentraler Einsatzbereich der Krankengymnastik nach Bobath für Erwachsene ist die neurologische Rehabilitation. Typische Krankheitsbilder, bei denen das Konzept zum Einsatz kommt, sind:
-
Schlaganfall (Apoplex)
-
Multiple Sklerose
-
Morbus Parkinson
-
Hirnblutungen oder Schädel-Hirn-Traumata
-
Querschnittslähmungen
-
Zerebrale Bewegungsstörungen
Die Therapie beginnt mit einer ausführlichen Befundaufnahme. Welche Körperhälfte ist betroffen? Wo treten Spastiken auf? Gibt es einseitige Bewegungsmuster oder Haltungsschäden? Auf Basis dieser Beobachtungen wird ein individuelles Therapiekonzept entwickelt.
Therapeut:innen leiten funktionelle Bewegungen an – etwa das gezielte Abstützen auf dem betroffenen Arm, das kontrollierte Verlagern des Körpergewichts oder das sichere Gehen mit Hilfsmitteln. Auch das Umsetzen vom Bett in den Rollstuhl oder das Einnehmen einer stabilen Sitzposition kann Teil der Therapie sein.
Ein weiteres Ziel ist die Hemmung pathologischer Reflexe. Nach einem Schlaganfall kann es beispielsweise passieren, dass der Arm unwillkürlich an den Körper gezogen wird. Die Bobath-Therapie arbeitet gezielt daran, solche Muster zu durchbrechen – durch sanfte Lagerungen, gezielte Bewegungsimpulse und das bewusste Erleben von Bewegung.
Übungen im Bobath-Kontext: Funktional und alltagsnah
Oft wird gefragt, welche Physiotherapie nach Bobath Übungen konkret zum Einsatz kommen. Die Antwort: Es gibt keine universelle Übungsliste – jede Bewegung wird individuell ausgewählt. Dennoch lassen sich typische Beispiele nennen:
-
Armaktivierung beim Tischdecken: Der betroffene Arm wird in die Tätigkeit eingebunden, etwa beim Greifen nach Besteck.
-
Transferübungen: Etwa das sichere Umsetzen von einem Stuhl aufs Bett.
-
Stand- und Gleichgewichtsübungen: Um das Gangbild zu verbessern und Stürzen vorzubeugen.
-
Alltagsübungen wie das Öffnen von Dosen oder das selbstständige Ankleiden.
All diese Maßnahmen zielen nicht auf Krafttraining ab, sondern auf das Bewegungslernen. Das Gehirn soll durch Wiederholung und gezielte Reize neue Bewegungsbahnen etablieren – möglichst funktionell, ökonomisch und sicher.
Die Rolle der Umgebung
Ein häufig unterschätzter Aspekt ist das Umfeld der Patient:innen. Die Bobath-Therapie bezieht auch die Gestaltung des Wohnraums mit ein. So kann etwa die Platzierung von Lichtquellen, das Arrangement von Möbeln oder die Nutzung von Hilfsmitteln Einfluss auf das Bewegungserleben nehmen.
Auch Angehörige erhalten Schulungen: Sie lernen, wie sie bei Transfers helfen können, ohne Übergriffe zu verursachen, und wie sie Motivation fördern, ohne zu überfordern.
Früh übt sich – Bobath-Therapie bei Babys und Kleinkindern
Frühkindliche Bewegungsentwicklung verstehen
Schon in den ersten Lebensmonaten entwickelt ein Baby grundlegende motorische Fähigkeiten – vom ersten Drehen über das gezielte Greifen bis hin zum eigenständigen Sitzen und Gehen. Diese Schritte erfolgen normalerweise in einer bestimmten Reihenfolge und sind eng mit der Entwicklung des Nervensystems verbunden.
Wenn sich jedoch Verzögerungen oder Auffälligkeiten zeigen, ist eine frühzeitige Unterstützung besonders wichtig. Genau hier kommt die Bobath-Therapie bei Babys ins Spiel. Sie bietet einen sanften, entwicklungsfördernden Ansatz, um die motorische Entfaltung gezielt zu begleiten – ganz ohne Zwang oder Drill.
Wann ist eine Bobath-Therapie für Babys sinnvoll?
Nicht jedes Baby, das etwas später läuft oder sich seltener dreht, benötigt sofort physiotherapeutische Unterstützung. Dennoch gibt es bestimmte Anzeichen, bei denen die Krankengymnastik nach Bobath für Babys empfohlen wird:
- Einseitige Bewegungsmuster (z. B. bevorzugtes Liegen auf einer Körperseite)
- Sichtbare Asymmetrien (z. B. abgeplatteter Hinterkopf, Schiefhals)
- Eingeschränkte Kopfkontrolle
- Muskelhypotonie (zu geringe Spannung) oder Hypertonie (übermäßige Spannung)
- Auffällige Bewegungsmuster bei Frühgeborenen
- Diagnosen wie Zerebralparese oder genetische Syndrome mit motorischen Entwicklungsstörungen
In diesen Fällen geht es nicht um das „Nachholen“ verpasster Meilensteine, sondern darum, dem Kind den Weg zu einer ausgewogenen Bewegungsentwicklung zu erleichtern.
Wie funktioniert die Therapie bei Säuglingen?
Im Zentrum der physiotherapie nach Bobath baby steht die gezielte Förderung durch Spiel, Bewegung und Interaktion. Therapeut:innen arbeiten dabei mit entwicklungsfördernden Impulsen, sanften Lagerungen und Reizen, die die Eigenaktivität des Babys herausfordern.
- Bewegungen werden nicht „durchgeführt“, sondern ermöglicht.
- Die Therapie integriert sich in Alltagssituationen wie Wickeln, Tragen oder Füttern.
- Eltern erhalten konkrete Anleitung zur Unterstützung zu Hause.
- Die Umgebung wird als Teil des therapeutischen Rahmens gestaltet.
Zum Beispiel kann durch eine leichte Gewichtsverlagerung beim Tragen die Rumpfmuskulatur aktiviert werden. Oder beim Spielen auf der Matte wird ein Spielzeug so positioniert, dass das Baby sich kontrolliert dreht oder nach vorne stützt – ein typisches Element der krankengymnastik baby bobath.
Die Eltern als Teil des therapeutischen Teams
Ein zentrales Element der Therapie ist die aktive Einbindung der Eltern. Du bist nicht nur Zuschauer, sondern wichtiger Teil des therapeutischen Prozesses.
- Wie Du Dein Baby so lagerst, dass beide Körperseiten gleichmäßig stimuliert werden
- Welche Tragepositionen den Muskeltonus regulieren
- Wie Du durch kleine Impulse gezielt Reaktionen auslöst
- Wie Du Deinen Alltag so gestaltest, dass Bewegungsfreude entsteht – ohne Überforderung
Diese Alltagsintegration macht die krankengymnastik nach Bobath besonders nachhaltig. Denn therapeutische Impulse wirken am stärksten, wenn sie kontinuierlich und in vertrauter Umgebung stattfinden.
Was passiert in einer typischen Bobath-Einheit?
Ob mit Erwachsenen oder Kindern – jede Bobath-Behandlung beginnt mit einer genauen Beobachtung.
- Das Baby wird in Positionen gebracht, in denen es neue Bewegungserfahrungen machen kann.
- Therapeut:innen geben taktile Hinweise, regen zur Eigenaktivität an und achten auf Körpersprache, Atmung und Blickverhalten.
- Übungen werden stets so angepasst, dass sie zum Entwicklungsstand und zur Tagesform des Kindes passen.
Eltern sind dabei eingebunden – sie beobachten, lernen Handgriffe und bekommen Rückmeldung, wie sie gezielt zu Hause weiterarbeiten können.
Die Bobath-Therapie im interdisziplinären Kontext
Oft ist die Bobath-Therapie Teil eines umfassenderen Förderkonzepts. Bei komplexeren Entwicklungsstörungen arbeiten Physiotherapeut:innen mit Ergotherapeut:innen, Logopäd:innen, Kinderärzt:innen und Frühförderstellen zusammen.
Auch bei Erwachsenen ist die Zusammenarbeit entscheidend – etwa mit Ergotherapie zur Förderung feinmotorischer Fähigkeiten oder mit Logopädie bei Sprach- und Schluckstörungen.
Die Bobath-Therapie im interdisziplinären Kontext ist somit keine isolierte Behandlungsmethode, sondern ein Baustein in einem therapeutischen Gesamtkonzept, das auf Selbstwirksamkeit und Teilhabe abzielt.
Fazit: Ein Konzept, das Bewegungen verändert – und Leben verbessert
Die Bobath Physiotherapie ist mehr als eine Technik – sie ist ein Denkmodell. Im Mittelpunkt steht immer der Mensch: seine Bewegungsfähigkeit, sein Alltag, seine persönliche Entwicklung.
Für Erwachsene bedeutet das, nach neurologischen Erkrankungen neue Wege der Mobilität zu finden – individuell, funktionell und eingebettet in reale Lebenssituationen. Für Kinder bietet die Therapie die Chance, von Anfang an Bewegungen harmonisch zu entwickeln und Einschränkungen früh zu begegnen.
Ob bei einem Schlaganfall, einer Entwicklungsverzögerung oder einer neurologischen Grunderkrankung – die Bobath Krankengymnastik gibt Dir Werkzeuge an die Hand, um Deine körperlichen Fähigkeiten zurückzuerobern. Nicht durch starre Pläne, sondern durch gezielte Reize, empathische Begleitung und die Überzeugung, dass Lernen und Veränderung immer möglich sind.
Die Therapie ist wissenschaftlich fundiert, ganzheitlich angelegt und auf Deine Bedürfnisse abgestimmt. Sie bietet Dir oder Deinem Kind die Chance, wieder mehr Bewegungsfreiheit zu erleben – Schritt für Schritt, Bewegung für Bewegung.